Quasi von Berufs wegen „Hanns Guck-in-die-Luft“
Der Mann ist 60, sieht aus wie nicht mal 50 und ist seit fast 40 Jahren dabei: Urban Backes, einer von rund 220 Mitarbeitern beim SaarForst-Landesbetrieb und Leiter des Reviers Rastpfuhl/ Püttlingen, zu dem auch die Umgebung der Schreinerlehrwerkstatt in Von der Heydt gehört. Weil Schreiner zwar den ganzen Tag mit Holz zu tun haben, aber noch längst nicht alles über den schönsten Werkstoff der Welt wissen, gewährt der engagierte Förster dem Wohnhandwerker Einblicke in seinen Arbeitsalltag – und der ist spannend und beginnt mit einer Assoziation an den Kinderbuchklassiker „Struwwelpeter“ von 1845.
Dort ist „Hanns Guck-in-die-Luft“ eine Episode, die der Arzt Heinrich Hoffmann in warnend-pädagogischer Absicht ursprünglich für seine Kinder verfasst hatte. „Hanns Guck-in-die- Luft“ erzählt vom stets geistesabwesenden Schüler Hanns, der ständig in den Himmel schaut, nicht auf den Weg achtet und am Ende in den Fluss fällt. Zwar wird er gerettet, er verliert aber seine Mappe und muss sich den Spott der Fische gefallen lassen.
Das hat mit Förster Urban Backes rein gar nichts zu tun, außer, dass er von Berufs wegen auch ständig den Kopf im Nacken hat und im Wald fortwährend in die Luft starrt: „Muss sein, nur so kann man als Förster den Zustand der Bäume erkunden.“ Übrigens: Nach dem Tag mit ihm ertappt man sich selbst beim Waldspaziergang häufiger in typischer Förster-Hochstarr-Pose. Er hatte es vorausgesagt.
Voraus sagt er auch, dass sich der Wald nicht nur in seinem Revier in den kommenden Jahren dramatisch verändern wird. Im Grunde genommen tut er es schon jetzt. Stichwort Klimawandel, Borkenkäfer, Wassermangel und so weiter. Der diplomierte Forstingenieur spricht von biologischer Automation und lässt die Begriffe nicht einfach so im Raum stehen. Will meinen, biologische Automation bezeichnet in der Forstwirtschaft die vorrangige Nutzung biologischer Prozesse zur Erreichung waldbaulicher Ziele, um so den Einsatz von Arbeit und Energie zu vermindern. Er nennt Beispiele, etwa der Vorzug der Naturverjüngung gegenüber der „künstlichen“ Anlage von Kulturen oder das zeitweilige Zulassen der natürlichen Sukzession auf entstandenen Freiflächen, um die so heranwachsenden Pionierwälder mit Birke, Ahorn, Hainbuche und Erle später mit erwünschten, standortgerechten Arten anzureichern, die forstwirtschaftlich nutzbar sind. Auch aufwändige Kulturpflegemaßnahmen lassen sich nach seiner Erfahrung dadurch reduzieren: „Das forstwirtschaftlich erwünschte gerade und feinastige Aufwachsen junger Bäume kann – statt durch hohe anfängliche Pflanzenzahl und späterer Ausdünnung des Bestandes – auch durch das Belassen zum Beispiel anfliegender Birken erreicht werden. Diese würden erst entnommen, wenn sie einen der zur forstwirtschaftlichen Produktion erwünschten Zukunftsbäume ernstlich bedrängen.“
Keine Frage, dieser Förster ist ein Anhänger der naturnahen Waldwirtschaft, der aber auch die ökonomische Seite der Waldwirtschaft im Blick hat, wenn er etwa die Dicke der Bäume als „Wertträger“ bezeichnet oder erläutert, dass die Fichte doppelt so schnell wächst, wie die beliebte Eiche. Deshalb: Fichte eher Nutzholz, Eiche bevorzugt Möbelholz, wenn man das etwas verkürzt wiedergeben möchte.
Auch nimmt er kein Blatt vor den Mund, wenn er verrät, dass Bestsellerautor und Promi-Förster Peter Wohlleben eine Reizfigur unter den Försterkollegen ist. Ganz einfach, weil er – ob der pointierten Zuspitzung – als Gast in Talkshows oder großen Bühnen gerne mal die Pfade des Faktenreiches verlässt. Und die sind bekanntlich verschlungen – und führen auf die Halde Grühlingshöhe am Stadtrand von Saarbrücken, die der Förster gerne besteigt, weil er von dort einen einmaligen Überblick auf einen Großteil der rund zwei Millionen Bäume in seinem Revier hat, das eine beeindruckende Fläche von 1.350 Hektar umfasst.
Förster Urban Backes erklärt, der Wald sei krank, viele Bäume tot oder vom Sterben bedroht. Wer aber die gut 60 Meter hohe Halde erklommen hat und den Blick schweifen lässt, erkennt hier und da mal einen braun gefärbten, also toten Baum, aber keinen auffällig kranken Wald. Wie passt das zusammen? „Ganz einfach“, sagt der Förster, „ich stehe hier oben, um die kranken Bäume ausfindig zu machen, die dann möglichst schnell gefällt werden.“ Genau deshalb gebe es keine braunen Totbaumflächen. Macht Sinn!
Was bei der stundenlangen Waldbefahrung und -begehung auch auffällt ist das viele Totholz, das teilweise für Laien wie „Unordnung“ im Wald anmuten mag. „Unordnung ist relativ“, sagt der Mann mit dem „Traumberuf“ (O-Ton Urban Backes) und versichert glaubwürdig, das müsse so sein, weil etwa Käfer Totholz brauchen, um zu brüten und zu wohnen. Auch zeigt er große Spechthöhlen, weist auf potenzielle Behausungen von Fledermäusen, Hornissen, Wespen und Hohltauben hin, die hier ihren idealen Lebensraum finden können.
Der groß gewachsene Mann aus dem Tholeyer Ortsteil Sotzweiler verantwortet die größte zusammenhängende Waldfläche im Saarland und nennt Saarbrücken „eine der waldreichsten Städte Europas“. Wenn man den Rundumblick von der Halde Grühlingshöhe wagt, kann man ahnen, was er meint. Das Waldbildungsprogramm geht weiter, indem man erfährt, dass im Saarland gut zehn Prozent der Waldfläche für Rückegassen und Waldwirtschaftswege gebraucht werden, damit die übrigen 90 Prozent optimal betreut werden können. Betreut von Mitarbeitern des SaarForst-Landesbetriebs, der unter politisch gewolltem Sparzwang und Personalmangel ächzt. Urban Backes sagt, zu Beginn seiner Ausbildung hätte es im Saarland 62 Förster gegeben, heute seien es 30. Aus den ehemals 1.000 Waldarbeitern im Staatsdienst sind 100 geworden. Klar, dass bei so einer Personallage forstwirtschaftliche Dienstleistungen im großen Stil hinzugekauft werden müssen.
Beim Blick in die Unfallschutzverordnung der Förster, in der steht, dass etwa bei Baumfällarbeiten aus Sicherheitsgründen immer drei Leute zusammen im Einsatz sein müssen, wird schnell klar, dass bei der dünnen Personaldecke mancher kranke Baum länger als vernünftig in der Vertikalen bleibt. Auch ist zu erfahren, dass seit 2018 die Bäume „Adressen“ haben, damit etwa Rettungskräfte im Notfall wissen, wo der nächste Anfahrtsweg ist. „Rendezvouspunkte“ heißen diese im Fachjargon. Auch gibt es „Abteilungsnummern“, „Waldblöcke“ und „Unterabteilungen“ – alles böhmische Dörfer für Laien, aber arbeitserleichternd für die Profis, wie einer von ihnen überzeugend versichert.
Ein Herzensthema für den zertifizierten „Waldbautrainer“ ist der „Wald der Zukunft“. Dort stehen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit andere Baumarten, die bislang in hiesigen Breiten noch kaum eine Rolle spielen. So könnte auf Sicht die bislang eher selten gesehene Weißtanne die Fichte ersetzen, weil sie eine Pfahlwurzel hat, mit der sie sich den Weg zum Wasser bahnt – und einfach ausgesät werden kann. Sie experimentieren damit schon im Saarbrücker Stadtwald, bauen Gehege aus Dachlatten für Jungbäume, um sie vor gefräßigen Rehen zu schützen. Nur eine von vielen Maßnahmen, deren Wirkung ständigen Überprüfungen standhalten muss.
Das ist relativ neu. Vieles aber, was den Försterberuf seit jeher geprägt hat, ist auch heute noch aktuell. Doch Förster sind nicht nur für Holzernte und Waldbau zuständig, sie sorgen dafür, dass die zahlreichen umwelt- und naturschutzrechtlichen Vorgaben eingehalten werden. Hinzukommt die immer wichtigere Bildungsarbeit, wobei der kürzlich eröffnete „Holzweg“ des Wirtschaftsverbandes Holz und Kunststoff Saar ein Paradebeispiel ist (siehe Text ab Seite 21). Kurzum: Förster sind Forstpolizisten, Naturschützer, Waldpädagogen. Die romantische Vorstellung von einem Förster, der mit Dackel, Lodenmantel und geschultertem Gewehr durchs Unterholz streift, hat also mit der Realität kaum mehr etwas zu tun. Statt Flinte sind mittlerweile eher Smartphone und Laptop gefragt. So kann der Zustand von Bäumen oder Schädlingsfallen vor Ort überprüft und die Daten direkt an die Forstverwaltung geschickt werden.
Apropos Verwaltung. Urban Backes ist klar ein Waldmensch und kein Schreibtischtäter, ein Kommunikator, der mit den Menschen im Wald Kontakt aufnimmt und so stetig an einer Imageverbesserung seines Berufsstandes arbeitet. Nur konsequent, dass er bei der Anfahrt zu seinem Lieblingsbaum, eine 250 Jahre alte Traubeneiche im Urwald vor den Toren der Stadt, die einen Durchmesser von 1,54 Meter und einen Umfang von 4,55 Meter hat, mit einer Spaziergängerin ins launige Gespräch kommt. Lachen im Walde! Fazit: Was für einen schönen Arbeitsplatz dieser Augenmensch doch hat. „Hanns Guck-in-die-Luft“ lässt grüßen…